Führung – vom Heldenmythos zur Gestaltung wertschöpfender Rahmenbedingungen

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Die Rahmenbedingungen für Führung haben sich grundlegend verändert. Ich erlebe in Gesprächen, dass der Begriff sehr unterschiedlich verstanden und gedeutet wird. Oft wird er mit Leadership und Management in Verbindung gebracht. Wie gute Führung zu sein hat, ist hoch umstritten. Unzählige Führungsverständnisse werden angeboten. Eine Eigenschaft vereint alle Ansätze: Führung hat immer etwas mit Macht zu tun – sei sie formal oder sozial legitimiert.

Also, was ist die Aufgabe von Führung? Und was nicht? Und warum ist eine Klärung dieses Begriffs für Organisationen wichtig?

Wenn es zu einem so relevanten Begriff in Organisationen kein gemeinsames Bild gibt, können teure Missverständnisse die Folge sein. Angefangen bei der Einstellung von Führungskräften, der Auswahl von Fortbildungsangeboten und im alltäglichen Arbeiten. Ich biete hier meine Interpretation an, um Raum für eine Klärung bei Führungskräften und deren Organisationen zu öffnen. Meine Thesen basieren auf meinem humanistischen Menschenbild, der Systemtheorie von Niklas Luhmann und meinen Erfahrungen als Berater.

Ich spanne im Folgendem einen breiten Bogen zu den für mich relevanten Aspekten von Führung. Für eine angenehme Leselänge verzichte ich bewusst darauf, in einzelne Aspekte tief einzusteigen. Auch werden Widersprüche im Text sichtbar, die ich bewusst nicht auflöse, sondern als notwendiges Spannungsfeld für Entwicklung betrachte. Ziel ist es, Sie zum Nachdenken und Hinterfragen zu animieren.

Zu Beginn meine grundsätzlichen Überzeugungen zu dem übergeordneten Rahmen, in dem Führung stattfindet:

  • Unternehmen und Mitarbeiter/innen gehen eine Leistungspartnerschaft auf Augenhöhe ein. Mit einem Ziel: die Wertschöpfung zu steigern. Nicht mehr und nicht weniger. Wertschöpfung bedeutet für mich, neben Kundennutzen und Gewinn für die Inhaber, dass Mitarbeiter, Gesellschaft und Umwelt keinen Schaden nehmen.
  • Werte, Haltungen und Motivation sind für mich Privatsache. Zu verlangen, dass Mitarbeiter diese im Sinne des Unternehmens ändern sollen, ist moralisch fragwürdig, unwirksam und teuer. Dahinter steht meine tiefe Überzeugung, dass Menschen gut sind, wie sie sind. Sie müssen nicht verbessert oder gar optimiert werden. Es sei denn, sie wollen es.

Lassen Sie uns loslegen. Was war seit der industriellen Revolution die Hauptaufgabe von Führung?

Zu wissen, wie Probleme gelöst werden und für die korrekte Umsetzung durch andere zu sorgen. Das hat gut funktioniert, weil die Märkte stabil und unerschlossen waren. Oben wurde gedacht und unten gemacht. Kernbegriffe waren Steuerung, Planung, Anweisungen und Prozesse. Es galt: “Ich weiß, wie es geht. Also setzt es genauso um. Und keine Fehler, bitte.” Ziel dieser Art Wertschöpfung ist Effizienz. Sie hat lange Zeit den Erfolg von Unternehmen maßgeblich bestimmt.

Wie sieht es heute und morgen aus?

Ganz anders. Märkte sind komplex, dynamisch, erschlossen und voller Überraschungen. Disruptionen lauern überall. Man weiß immer weniger, was der Markt morgen braucht. Effizienz erzeugt keinen entscheidenden Marktvorteil mehr. Stattdessen übernehmen Innovationen diese überlebenswichtige Aufgabe. Wenn es also an Wissen fehlt, kann man nicht planen und steuern.

Es braucht stattdessen Menschen mit Ideen und Raum, damit sie tüfteln und ausprobieren können. Es gilt: “Hier ist ein Problem unserer Kunden. Wer hat dazu eine Idee? Probier‘ mal schnell und günstig aus, ob die funktioniert. Was brauchst du dafür?”.

Begriffe wie Projekte, Irrtum, Prototyp und dezentrale Steuerung werden relevanter. Dazu kommt, dass Führungskräfte durch das Internet immer weniger exklusiven Zugang zu Wissen haben. Wenn die Führungskraft also nicht mehr am besten weiß, was der Markt braucht, und gegenüber anderen keinen echten Wissensvorsprung mehr hat – was und wie soll sie dann noch führen?

Die zentrale Herausforderung moderner Führung lautet: Wie kann in einer Organisation Effizienz sichergestellt und gleichzeitig Innovation gefördert werden? Im Folgenden konzentriere ich mich auf Führungskräfte mit formaler Macht. (Auf Führung ohne formale Macht gehe ich später ein.)

  1. Strategie und Handlungsprinzipien vorgeben: Dies ist und bleibt Kernaufgabe von Führung und bezieht sich sowohl auf das ganze Unternehmen als auch auf Abteilungen oder Teams. Eine gute Strategie setzt Prioritäten und legt damit vor allem fest, was das Unternehmen nicht Und sie konzentriert sich auf wenige Schwerpunkte. Weniger ist hier mehr. Prinzipien sind die Alternative zu Regeln. Sie beschreiben einen gewünschten Zustand, lassen die Verantwortung für die Umsetzung jedoch bei den Mitarbeitern. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Die Regel gibt vor, dass ein Sägeblatt alle 100 Betriebsstunden getauscht wird. Das passende Prinzip hingegen lautet: Wir haben immer scharfe Sägeblätter.
  2. Unterschiedliche Strukturen und Managementpraktiken für Effizienz und Innovation schaffen – im eigenen Verantwortungsbereich und für die Organisation als Ganzes.
    1. Es existiert Wissen für das Problem. Dann lautet die Aufgabe, das Wissen so aufzubereiten, dass es in gleichbleibender Qualität und wiederholbar umgesetzt werden kann. Hier gilt es klare und eindeutige Prozesse und Anweisungen festzulegen. Die klassische Hierarchie mit ihrer Arbeitsteilung und Kontrolle ist dafür eine etablierte und zuverlässige Managementpraktik.
    2. Es gibt kein Wissen für das Problem. Es braucht also Ideen. Und die haben halt nur Menschen. Hier lautet die Aufgabe Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Ideen, Experimente und besonders Überraschungen sowie Zufälle einen institutionalisierten Raum haben. Statt Arbeitsteilung sind hier selbstorganisierte Netzwerke am wirksamsten. Je weniger Regularien und Struktur, desto besser.

    Da die Hierarchie samt Arbeitsteilung mehr als 100 Jahre lang die einzige Struktur für Zusammenarbeit war, ist es wichtig der Versuchung zu widerstehen, Ideen planen und steuern zu wollen. Das passiert oft in Organisationen und geht meist schief.

  1. Den eigenen Führungsstil finden. Da Patentrezepte für Führung nicht mehr gelten und organisatorische Rahmenbedingungen sich ständig wandeln, sind die folgenden Fragen immer individuell zu beantworten:
    1. Wie sorge ich dafür, dass ich selbst klar und stabil bin?
    2. Wie kläre ich Erwartungen und Konflikte?
    3. Wie werden in der Organisation oder im Team Entscheidungen getroffen?
    4. Wie gebe ich Rückmeldung, die nicht demotiviert?

Abschließend komme ich auf den erwähnten Unterschied zwischen formal und sozial legitimierter Führung zurück.

In vielen Organisationen steigt die Anzahl crossfunktionaler und bereichsübergreifender Teams. In diesen wechselt die Führung oft je nach Kontext, Fähigkeit und Ansehen. Immer mehr Mitarbeiter ohne formale Macht übernehmen so Führung auf Zeit. Das ist für die Führungskräfte mit formaler Macht ebenso ungewohnt wie für die Mitarbeiter ohne formale Macht. Es entstehen Spannungsfelder. Daher ist es notwendig, dass Organisationen ihr ganz eigenes Verständnis von Führung finden. Diesen Klärungsprozess einzuleiten, ist Aufgabe jeder Führungskraft.

Wie verstehen Sie Führung? Wo stimmen Sie mir zu? Wo nicht? Lassen Sie uns gerne sprechen.

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